Vorkämpfer der Sterbehilfe
Walter Jens hängt am Leben
Früher ist
Walter Jens vehement für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe
eingetreten - wortgewaltig und mit gewohnt brillantem Geist. Ein Leben
ohne intellektuellen Austausch erschien dem Tübinger Professor als
allzu schreckliche Qual. Heute kann der 86-Jährige durch seine Demenz
nicht mehr lesen, kaum noch reden und selbst einfache Gesten nicht
mehr deuten. Und er scheint dieses Leben als lebenswert zu empfinden,
sagt seine Frau Inge Jens.
Im Interview
der Deutschen Presse-Agentur erzählt die 82-Jährige von Zweifeln an
der gemeinsamen Patienten-verfügung - und warum sie beim nächsten
Asthmaanfall ihres Mannes keine lebens-verlängernden Medikamente mehr
zulassen will. |
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Walter Jens und Ehefrau Inge |
dpa:
Stellen Sie sich oft die Frage, ob Ihr Mann - wenn er könnte - jetzt
von Ihnen Hilfe beim Sterben einfordern würde?
Inge Jens:
Nicht mehr. Aber das hat mich über Jahre sehr beschäftigt. Ich weiß
genau, und es steht Wort für Wort in unserer Patientenverfügung
formuliert, dass mein Mann so, wie er jetzt leben muss - unfähig zu
schreiben, zu sprechen, zu lesen, überhaupt noch zu verstehen -
niemals hat leben wollen. Sein Zustand ist schrecklicher als jede
Vorstellung, die er sich wahrscheinlich irgendwann einmal ausgemalt
hat. Trotzdem wäre ich im Augenblick nicht fähig, ihm zum Tode zu
verhelfen. Diese Patientenverfügung haben wir geschrieben, bevor es
soweit war mit der Demenz.
Heißt
das, die Erfahrungen mit der Krankheit hat Ihr Denken über
Sterbehilfe, und vielleicht auch das Ihres Mannes verändert?
Er hat seinen
Lebenswillen durch die Demenz nicht verloren. Sein Lebenswille bezieht
sich nicht mehr auf sein geistiges Wirken. Er hat sich zu einem
biologischen Leben in einem Maße verschoben, wie ich es selbst nicht
für möglich gehalten hätte. Genauso sicher, wie wir uns damals waren,
dass wir beide so nicht leben wollten, weiß ich heute, dass mein Mann
nicht sterben möchte.
Wenn
man also im Vorfeld gar nicht mit Sicherheit sagen kann, was man etwa
als Demenzkranker wirklich will, zweifeln Sie dann inzwischen am Sinn
von Patientenverfügungen?
Nein. Ich
halte sie für sinnvoll, ich halte es sogar für unumgänglich, dass man
sich, solange man noch klaren Geistes ist, mit dieser Frage
beschäftigt, und dass man Vorsorge trifft. Und die soll man ehrlich
treffen. Und wenn man zu dem Zeitpunkt, zu dem man es aufschreibt, der
Meinung ist: Ich will als Dementer nicht leben, dann soll man es
aufschreiben. In unserer Patientenverfügung haben wir allerdings eine
- wie ich finde - gute Formulierung gefunden, die sagt: "...dann
verlange ich, dass alle medizinischen Maßnahmen unterbleiben, die mich
am Sterben hindern". Es steht nicht da: Bitte bringt mich um.
Ihr
Mann kann sich nicht mehr reflektiert äußern. Und trotzdem glauben
Sie, dass er sein Leben als lebenswert empfindet. Woher wissen Sie
das?
Manchmal redet
er noch ein paar Worte: "Bitte, bitte hilf mir." Das kann er noch
sagen - angsterfüllt und natürlich doppeldeutig. Es kann bedeuten,
hilf mir zu sterben, es kann aber auch heißen, hilf mir zu leben. Er
sagt auch oft: "Ich will nicht sterben." Neulich hat er gesagt: "Nicht
totmachen, bitte nicht totmachen." Ich bin mir nach vielen qualvollen
Überlegungen absolut sicher, dass mich mein Mann jetzt nicht um
Sterbenshilfe, sondern um Lebenshilfe bittet.
Ist
denn aber sein Wille, den er früher mit vollen geistigen Fähigkeiten
niedergeschrieben hat, nicht bindender als die wenigen Worte, die er
in seinem geistigen Zustand heute sagt?
Darüber habe
ich natürlich auch viel nachgedacht. Ich glaube, dass ich ganz gut
beurteilen kann, was er wirklich denkt - das heißt, denken tut er
überhaupt nichts mehr - was er fühlt, was er möchte. Es gibt nach wie
vor Dinge auf dieser Welt, die ihm Freude machen. Er isst mit
allergrößtem Vergnügen. Wenn wir hier bei Tisch sitzen, dann fängt er
oft schon an zu essen, wenn noch gar nichts auf seinem Teller ist. Das
zeigt, dass er das gern tut. Das ist doch kein Todeswunsch, der sich
da äußert. Ich sehe: Er leidet nicht, und ich hoffe, dass sein Leben
irgendwann friedlich von allein zu Ende geht. Es ist unübersehbar: Er
wird immer schwächer.
Sie
haben vor drei Jahren wortwörtlich die gleiche Patientenverfügung
unterschrieben wie ihr Mann. Würden Sie sie heute anders formulieren?
Ich habe
überlegt, ob ich meine Patientenverfügung ändern soll. Aber ich
glaube, ich lasse es. Denn meine Söhne werden für die Entscheidung
zuständig sein, und die wissen, wie ich denke. Und ich vertraue
darauf, dass die dann auch meinen Willen richtig interpretieren.
Ihr
Mann leidet unter schwerem Asthma. Wissen Sie, was sie machen werden,
wenn Ihr Mann demnächst einen schweren Asthmaanfall erleiden sollte?
Ich würde auf
jeden Fall verhindern, dass er ins Krankenhaus eingeliefert wird. Ich
möchte, dass - wenn er sterben soll - er zu Hause sterben kann.
Lebensverlängernde Maßnahmen möchte ich nicht, wohl aber möchte ich
ihm seine Qual nehmen. Oberste Maxime ist, dass er nicht leidet, egal
um welchen Preis. Ob um den Preis des Lebens oder um den Preis des
Todes.
Haben
Sie Angst vor dem Moment, an dem Sie Ihren Mann verlieren?
Mir wird es
leicht gemacht. Er ist 86 Jahre alt. Das ist ein Alter, in dem wir
auch als Gesunde sterben dürfen. Man hat ihm, als er sehr jung war,
gesagt: Älter als 30 werden Sie mit Ihrem Asthma ohnehin nicht. Jetzt
ist er 86 geworden, und er hat sich über jedes ihm geschenkte Jahr
gefreut. Ich glaube, er wäre mit mir der Meinung, dass sein Leben
insgesamt ein gnädiges, ein schönes, ein erfülltes und auch ein
freudiges gewesen ist. Und ich weiß, dass sein Tod für ihn eine Gnade
sein wird.
Interview:
Marc Herwig, dpa
Quelle: http://www.n-tv.de/panorama/kultur/Walter-Jens-haengt-am-Leben-article417892.html
19.Juli 2009 |